Streicheleinheiten
Wie gern würde man mal anfassen! So verlockend die sanft sich rundenden oder prall schwellenden Formen, so delikat die Oberfläche. Aber letztlich tut man es dann doch nicht, weil die Museumsaufsicht gerade herschaut oder man sich sowieso nicht traut. Denn man weiss ja seit Kindertagen, dass man im Museum nichts anfassen darf. Und so bleibt die rätselhafte Plastik von Hans Arp oder die gelassen Hingelagerte von Herny Moore dann - glücklicherweise - unberührt.
Dafür hält man sich dann draussen schadlos, wenn man an einer Bronzeplastik im öffentlichen Raum vorbeikommt, und streicht mit verstohlener Wonne der Nixe eines barocken Brunnens über die Brust oder grabscht mit diebischem Vergnügen nach dem Schwanz eines muskulösen Heroen. Natürlich möchte man dabei lieber nicht gesehen werden. Aber die Tatsache, dass an den Plastiken just diese Stellen golden leuchten, weil alle Patina abgerieben ist, lässt uns unser Tun nicht mehr ganz so verwerflich erscheinen. Denn es zeigt doch nur allzu offensichtlich, dass es nicht wenig Andere vor uns auch schon getan haben.
An diese Gemengelage von Affekten dockt das Skulpturenprojekt im öffentlichen Raum Antoine Zgraggens an. Er bietet den Passanten im Stadtraum eine Gruppe von abstrakten Metallplastiken an, die auf den ersten Blick an die amorphen Steinskulpturen und Gipsplastiken des schon erwähnten Dadaisten und Surrealisten Hans Arp erinnern. Zgraggen schreibt jedoch zu seinen Plastiken: "Diese grundlegend amorphen Objekte sind für den einen und einzigen Zweck geschaffen, um - bewusst oder unbewusst - wahrgenommen zu werden als Material, das eine taktile Empfindung oder einen taktilen Reiz verschafft und als solches interessant ist, angenehm zum Berühren erscheint, sich neugierigen Händen zum Erforschen darbietet und damit sinnlich Angenehmes hervorruft. Vom ästhetischen Standpunkt her ist der visuelle Aspekt der primären Funktion eindeutig untergeordnet.
Technisch gesprochen sind die 'Touchers' aus Aluminium, Bronze, Kupfer, Grauguss oder Stahl gegossene und bearbeitete Formen. Sie werden bevorzugt an strategischen Durchgangsorten angebracht um sich dem Publikum zur Berührung anzubieten.“
Damit ist Sinn und Zweck dieser nach Natursteinen gegossenen Plastiken auch schon deutlich umschrieben. Hoch poliert und direkt an der Hauswand verschraubt oder in Rahmenkonstruktionen mit Kissen aus Gummi, Filz oder Neopren wie Preziosen präsentiert, werden sie dem anonymen Passanten und Benutzer zur allfälligen Berührung angeboten.
Einmal mehr hat sich Antoine Zgraggen dabei für seine "Kunst als Dienstleistung" entschieden, wie er es seit 2005 schon bei seinen Dekonstruktionsmaschinen getan hatte, die er dem Museumspublikum zum spektakulären Zerschlagen oder Verbrennen von Objekten zur Verfügung stellte.
Es ging dem Künstler mit FABER, der die Objekte mittels eines massigen Vorschlaghammers pulverisierte, oder VULCANO, der sie zu Asche verbrannte, weniger um ein effektvolles Kunstspektakel, als vielmehr um die kathartische Wirkung der Zerstörung des jeweiligen Objektes. Denn dem Benutzer sollte mit diesem Zerstörungsakt die Gelegenheit gegeben werden, sich von einem Objekt zu trennen, mit dem er entweder unangenehme Erinnerungen verband oder dessen er sich schon lange entledigen wollte, das er aber wegzuwerfen nicht traute.
Hatte Zgraggen mit den Destruktionsmaschinen schon an "niedere" Instinkte appelliert - denn mit der hämischen Freude, die uns erfasst, wenn wir das letzte Geschenk eines ungetreuen Ex-Liebhabers in Stücke geschlagen sehen, offenbaren wir nicht gerade unsere hellste Seite - so spielt er auch bei den "Touchers" mit jenen Affekten, die wir gerade in der Öffentlichkeit ungern vorgeführt sehen wollen. Denn wer lässt sich schon gerne dabei erwischen, wie er seiner Sinnlichkeit ungehemmt nachkommt, wenn er eine schöne Form liebkost.
Doch dieser Skrupel, sich in aller Öffentlichkeit so sinnlich zu präsentieren, lässt sich ja auch deuten als das uns seit früher Jugend eingepflanzte, ausgesprochen protestantische Misstrauen gegen die Sinnenfreuden, die nur von Effizienz und Pflichterfüllung abhält. Darum ist es ein Akt freundlicher Subversion, wenn Antoine Zgraggen die Tast- und Streichelobjekte im öffentlichen Raum installiert.
Dr. Heinz Stahlhut, Sammlungskonservator Kunstmuseum Luzern